Unbekannter Riese

Von Irmgard Kirchner · · 2021/Jul-Aug
Uganda: Die Genossenschaft Bugongi vergibt Mikrokredite für Solarpanele im ländlichen Raum. © frank van der vleuten / CC BY-NC-ND 2.0

Genossenschaften gibt es seit 170 Jahren. Warum diese Unternehmensform heute wieder verstärkt Interesse findet und wo sie überall zu finden ist.

Am Anfang war das Problem: Im Europa des 19. Jahrhunderts hatte der ungezügelte Kapitalismus Männer, Frauen und Kinder ins Massenelend gestürzt – unter ihnen Fabriksarbeiter*innen, Handwerker und Bäuer*innen. Als eine Lösung entwickelten der liberale Fabriksbesitzer Robert Owen in Großbritannien, der fromme, konservative Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen und der liberale Jurist und Politiker Hermann Schulze-Delitzsch in Deutschland das Wirtschaftsmodell Genossenschaft. Es sollte über 150 Jahre später, im Jahre 2016, immaterielles Weltkulturerbe werden.

Die Idee: Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sollten das offensichtliche Versagen von Staat und Markt mildern. Das Modell der Genossenschaft verbreitete sich rasch über den Globus.

Forscher*innen und Aktivist*innen sehen heute eine Renaissance der Genossenschaftsbewegung, deren Potenzial immer noch unterschätzt wird.

Der deutschsprachige Begriff Genossenschaft kommt vom althochdeutschen „Noz“, was soviel bedeutet wie Vieh. Die Vorsilbe „Gi“ oder „Ge“, steht für Gemeinsamkeit, der Genosse hat also Anteil am Vieh oder an der Viehweide. Der englische und französischen Begriff „Cooperative“ macht deutlicher, was den Kern einer Genossenschaft ausmacht: Zusammenarbeit.

Zukunftsmodell mit Tradition. Die „Rochdale Society of Equitable Pioneers“ gilt als erste Genossenschaft. Weber und andere Arbeiter*innen aus der Umgebung von Manchester hatten sich 1844 zusammengeschlossen, um gemeinsam die Dinge des täglichen Bedarfs günstiger einzukaufen.

Als geistiger Vater der neuzeitlichen Genossenschaftsbewegung – oder in den Worten von Karl Marx als „Vater der Kooperativfabriken und -boutiquen“ – gilt der 1771 in Newtown in Wales geborene Unternehmer Robert Owen. Während er in erster Linie gegen Kinderarbeit in Manchester kämpfte, wollte in Deutschland Friedrich Wilhelm Raiffeisen – geboren 1818 in Hamm (Sieg) in Rheinland-Pfalz – die verelendete Landbevölkerung des Westerwalds aus dem Würgegriff von Schulden und Wucherzinsen befreien.

Der Jurist und Politiker Hermann Schulze-Delitzsch – geboren 1808 in Delitzsch in Sachsen – versuchte, Handwerker*innen und Kleingewerbetreibende zu stärken, damit sie gegen die Konkurrenz der Großindustrie bestehen können.

Während Raiffeisen an Gemeinsinn und christliche Nächstenliebe appellierte, betonte Schulze-Delitzsch Selbsthilfe und Eigennutz durch Zusammenarbeit. Unterschiedliche politische Prägungen und Wertekonzepte führten zum gleichen Modell: zur Genossenschaft, einem Unternehmen im Eigentum ihrer Mitglieder, die gemeinsam bestimmen, gestalten und Verantwortung tragen.

Wirtschaft für Menschen. Die Genossenschaft sei etwas ganz anderes als jede andere Unternehmens-Rechtsform, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Dietmar Rößl. Nämlich: „Die einzige Unternehmens-Rechtsform, die nicht mit dem Thema Rendite beginnt.“ Rößl ist Vorstand des Forschungsinstituts für Kooperationen und Genossenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien. Auch wenn unter dem Strich eine schwarze Null stehen müsse, „die Genossenschaft beginnt mit dem Thema: wir haben ein gemeinsames Problem und das wollen wir gemeinsam lösen“.

Weil eine Genossenschaft mehr will als puren wirtschaftlichen Erfolg, nämlich Ideelles und Ökonomisches vereinen, begleiten ideologische und politische Kontroversen die Geschichte der Genossenschaftsbewegung. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck sah in den von Schulze-Delitzsch gegründeten genossenschaftlichen Kreditvereinen „Kriegskassen der Demokratie“, die unter die Gewalt des Staates gestellt werden sollten. Die von Schulze-Delitzsch geforderte Unabhängigkeit der Genossenschaften vom Staat führte auch zur erbitterten Gegnerschaft seitens Ferdinand Lasalles, des Wortführers der frühen deutschen Arbeiter*innenbewegung.

Karl Marx betrachtete die „Kooperativfabriken“ als „Übergangsformen“ in die kommunistische Produktionsweise, als „das erste Durchbrechen der alten Form, obgleich sie natürlich überall, in ihrer wirklichen Organisation, alle Mängel des bestehenden Systems reproduzieren und reproduzieren müssen“.

Bis heute haftet der Unternehmensform Genossenschaft etwas Ideologisches an: ob man dabei an kommunistische Misswirtschaft oder österreichische Parteipolitik denkt oder sie als alternative Wirtschaftsform idealisiert.

Hermann Schulze-Delitzsch: Erinnerung an den Genossenschaftspionier in seinem Geburtsort Delitzsch, Sachsen. © Dan Kollmann / CC BY-SA 4.0

Weltkulturerbe mit Weltgeltung. 1866 veröffentlichte Raiffeisen sein Buch: „Darlehnskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter“, ein Handbuch zur Genossenschaftsgründung, das in acht Auflagen erschien und sich weltweit verbreitete. Noch zu Lebzeiten von Raiffeisen entstand die erste Genossenschaft in Indien. Und deutsche Genossenschafter*innen merkten 2006 an, dass der Friedensnobelpreis, den der Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus aus Bangladesch für seine Erfindung der Mikrokredite bekommen hatte, eigentlich Friedrich Wilhelm Raiffeisen gebührt hätte.

Der 1895 gegründete internationale Dachverband International Cooperative Alliance (ICA) bezeichnet sich selbst als eine der größten NGOs weltweit, gemessen an der Zahl der Menschen, die sie vertritt: laut Eigenangaben eine Milliarde Menschen in drei Millionen Genossenschaften weltweit. Genossenschaft wird seitens der ICA durch sieben Grundprinzipen definiert:

•           freiwillige und offene Mitgliedschaft

•           demokratische Entscheidungsfindung

•           wirtschaftliche Mitwirkung der Mitglieder

•           Autonomie und Unabhängigkeit

•           Ausbildung, Fortbildung und Information

•           Kooperation mit anderen Genossenschaften

•           Verantwortung für die Gesellschaft

Die 1968 gegründete International Raiffeisen Union (IRU) geht von über 900.000 Genossenschaften mit geschätzten 800 Millionen Mitgliedern in über 100 Ländern aus, die nach den Prinzipien von Friedrich Wilhelm Raiffeisen organisiert sind.

Auch wenn unterschiedliche Definitionen und Zählweisen von Genossenschaften zu abweichenden Ergebnissen führen, bleibt ihre globale Bedeutung als Unternehmensmodell doch unbestritten.

Lesetipps  

Richard Sennett: Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält.

Hanser Verlag, München 2012   

Konny Gellenbeck (Hg.): Gewinn für alle!  Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft. Westend Verlag, Frankfurt/Main 2012 

Zurück zum Ursprung.  Lesebuch anlässlich des 200. Geburtstages von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und warum wir eine neue Genossenschaftsbewegung brauchen. GEA Media, Schrems 2018 

Geno schafft  

Blog: wu.ac.at/ricc/geno-schafft

Gesellschaftlicher Sinn. „Hilfe zur Selbsthilfe“: Was wie der entwicklungspolitische Slogan schlechthin klingt, stammt aus der Genossenschaftsbewegung. Genossenschaften können Abhilfe bei Versagen von Staat und Institutionen schaffen. Und potenziell vereinbaren sie Wirtschaftlichkeit und gesellschaftliche Verantwortung.

In der entwicklungspolitischen Diskussion verweist die International Labour Organization (ILO) auf die Bedeutung der Genossenschaften für die Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele, der SDGs (siehe auch Beitrag S. 33) .

Insbesondere könnten Genossenschaften eine Schlüsselrolle bei der Armutsreduzierung spielen, würden weltweit die meisten Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und trügen zur Geschlechtergleichheit bei.

In Deutschland wird im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit das Modell Genossenschaft erfolgreich in Entwicklungsländer exportiert.

In der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit liegt kein dezidiertes „Mission Statement“ zur Rechtsform von Genossenschaften vor. Die Austrian Development Agency (ADA) betont jedoch, die Förderung von Kooperativen bzw. Genossenschaften in unterschiedlichen Strategien und Ansätzen zu berücksichtigen.

Im Aufwind. In Österreich sind drei Millionen Menschen Mitglieder einer der ca. 1.700 Genossenschaften. Wirtschaftswissenschaftler Rößl schreibt der Unternehmensform eine wesentlich bedeutendere Rolle in der österreichischen Wirtschaft zu als man üblicherweise annimmt.

Und seit etwa fünf Jahren beobachtet er ein deutlich sichtbares Wachstum der Neugründungen: „Die Genossenschaft wird heute verstärkt als attraktive Rechtsform wahrgenommen“, so Rößl.

Durch Fusionen vor allem im Bankenbereich würde die Zahl der Genossenschaften kleiner. Auf der anderen Seite jedoch gäbe es Neugründungen „in interessanten Feldern“: Als Beispiele nennt Rößl eine Genossenschaft, die im Defreggental in Osttirol Breitbandinternet für den eigenen Gebrauch eingeleitet hat, oder eine Genossenschaft, die in Riefensberg im Bregenzerwald das alte Dorfwirtshaus weiterbetreibt.

Zahlreiche Genossenschaftsgründungen erwartet Forscher Rößl im Bereich erneuerbare Energien. Das sogenannte Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das in Österreich noch vor dem Sommer in Kraft treten könnte, fördert Energiegemeinschaften.

Jede Genossenschaft in Österreich muss Mitglied eines Revisionsverbandes sein, der zu Beginn das Geschäftsmodell auf seine Umsetzbarkeit und regelmäßig die wirtschaftliche Gebarung sowie die Befolgung der Satzung prüft.

Klara Dzoic vom Dachverband Vereinigung österreichischer Revisionsverbände (VÖR) sieht aktuell Interesse an Genossenschaften: „Viele Menschen, insbesondere junge, wagen es zur Zeit, zusammen neue alternative Geschäftsmodelle zu starten. Sie wollen unabhängig und in ihrem Vorhaben auf Außenstehende nicht angewiesen sein.“

Genossenschaften kurz 

Zweck einer Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder, ob es sich um wirtschaftliche oder soziale Tätigkeiten handelt. In Österreich besteht für Genossenschaften die Pflicht zur Mitgliedschaft in einem Revisionsverband und die Pflicht zur regelmäßigen Prüfung der wirtschaftlichen und satzungsgemäßen Gebarung (Revision alle zwei Jahre).   

Eintritt in die und Austritt aus der Genossenschaft erfolgt durch Vorstandsbeschluss. Das Stimmrecht kann in der Satzung gestaltet werden, meist wird nach Kopf abgestimmt, unabhängig von der Höhe der Anteile. Gehaftet wird nicht persönlich, sondern mit dem Anteil. In Österreich gilt „Nachschusspflicht“, die Haftung ist doppelt so hoch wie der Anteil. Im Unterschied zu Vereinen dürfen Genossenschaften Gewinn ausschütten. Es gibt kein Stammkapital und keine Mindesthöhe für Anteile.   

Bei Ausscheiden aus der Genossenschaft wird nur der einbezahlte Nennwert des Anteils (meistens unverzinst) ausbezahlt, was Genossenschaften als Unternehmensform sehr stabil und für Spekulation ungeeignet macht.   I. K.

Platzhirsche und Newcomer. Der größte Player unter den Revisionsverbänden in Österreich ist klar Raiffeisen. Die restlichen etwa 300 Genossenschaften gehören den anderen Revisionsverbänden an.

Bei Raiffeisen hat man 2014 das „Kompetenzzentrum Genossenschaft“ eingerichtet. Dessen Leiter Justus Reichl beschreibt seinen Arbeitsbereich als „Versuch innerhalb der Raiffeisenfamilie, das altbekannte und daher oft zu selbstverständliche Thema Genossenschaft wieder mehr ins Bewusstsein zurückzubringen. Man muss es in Erinnerung rufen, man muss es entstauben – und man muss es zeitgemäß leben“.

Nach Abzug der rund 370 selbständigen Banken, 80 Lagerhäuser und 80 Molkereien sind noch rund 900 weitere Genossenschaften unter dem Dach von Raiffeisen. Reichl: „Das sind die vielen, die die Raiffeisen-Idee leben, ohne so zu heißen. Und die die breite Öffentlichkeit daher auch nicht mit Raiffeisen verbindet.“ Darunter etwa Genossenschaften für Carsharing, erneuerbare Energieversorgung, Dorfgasthäuser oder die jüngst gegründete ESIT – Erste Steirische IT-Genossenschaft.

Beim Genossenschaftsverband Schulze-Delitzsch, dem Revisionsverband mit Schwerpunkt Gewerbetreibende mit seinen etwa 150 Mitgliedern, sieht man seit zwei Jahren einen „deutlichen Zuwachs an Neugründungen“. Seit Anfang 2020 sind zwanzig neue Genossenschaften im Verband aufgenommen worden, erklärt Günther Griessmair, Leiter der Abteilung Kommunikation. Das Format Genossenschaft sei zeitlos und zeitgemäß zugleich. Trendbegriffe dazu sind: Sharing-Ökonomie, Plattformökonomie, Netzwerke.

Dieses Zukunftsfeld für Genossenschaften findet auch international große Beachtung und ist eng mit dem Namen Trebor Scholz verbunden. Der Aktivist und Forscher an der Universität The New School in New York City treibt den sogenannten „Platform Cooperativism“ voran. Dabei geht es darum, das Modell der Genossenschaft in der digitalen Wirtschaft zu etablieren, wo Giganten wie Uber oder Airbnb dominieren – und so ziemlich das Gegenteil der Genossenschaftsidee betreiben, nämlich nicht die Förderung, sondern die Ausbeutung ihrer Mitglieder.

Es geht um Kooperation. Breiter bekannt in Österreich sind die knapp hundert Wohnbaugenossenschaften mit eigenem Revisionsverband. Seit 2016 gibt es neben den Alteingesessenen einen neuen Revisionsverband, Rückenwind mit knapp 50 Mitgliedern. Dieser versteht sich als Anlaufstelle für gemeinwohlorientierte Genossenschaften (siehe Interview S. 32).

Für den Historiker und Weltbestsellerautor Yuval Noah Harari ist die Fähigkeit zur Kooperation ausschlaggebender Faktor für den evolutionären Erfolg der Art Homo sapiens.

Der US-amerikanisch-britische Soziologe Richard Sennett schreibt in seinem Buch „Zusammenarbeit“, dass die Kooperationsfähigkeit der Menschen weitaus größer und komplexer sei, als die Institutionen dies zulassen. Ein Wandel von unten nach oben stütze sich auf Selbstorganisation in Vereinen oder Genossenschaften.

Hier kommt die Größe ins Spiel: Die weltweit größte Genossenschaft, Mondragón in Spanien, beschäftigt 120.000 Mitarbeiter*innen. Die Medizin-Kooperative Unimed betreibt 131 Spitäler und versorgt etwa zwölf Prozent der Bevölkerung Brasiliens mit Gesundheitsdienstleistungen.

Reichl vom Kompetenzzentrum Genossenschaft bei Raiffeisen sieht für genossenschaftliche Familien weltweit die Herausforderung, „eine gesunde Balance zwischen ihren jeweiligen – meist recht großen – Zentralinstituten und den Genossenschaften und ihren Eigentümern an der Basis zu finden, damit es am Ende des Tages nicht zur Machtumkehr kommt“.

Gerade Raiffeisen muss sich genau die-sen Vorwurf gefallen lassen. Sehr deutlich vom Bauern und Konfliktforscher Franz Rohrmoser, etwa in seinem Aufsatz „Raiffeisen erlag der kapitalistischen Gier“: Der Mitbegründer der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer*innen Vereinigung (ÖBV) äußert sich immer wieder als „kritischer Raiffeisenexperte“, so seine Selbstbezeichnung.

Schutzschirm für Einzelkämpfer. Kein Problem mit Größe gibt es bei Genossenschaften, die von zuvor Soloselbständigen gegründet werden. Durch sogenannte Erwerbsgenossenschaften können sie nicht nur Synergien wie gemeinsames Backoffice nutzen, sondern auch dem Prekariat entkommen und den Schutz eines Anstellungsverhältnisses genießen.

Die Arbeiterkammer Wien will mit ihrem Projekt „G’scheiter arbeiten 4.0“ Erfahrungen in diesem Bereich allgemein zugänglich machen. Lekton, eine fünfköpfige Genossenschaft von Grafikdesigner*innen und Softwareentwickler*innen, erprobt in diesem Rahmen neue Abläufe und Modelle zur Steigerung von Arbeits- und Lebensqualität.

Viel Potenzial. Abgesehen von Revisionsverbänden und Arbeiterkammer: Wie ist in Österreich der Wissensstand zur Unternehmensform Genossenschaft? Viele Genossenschaften treten nach außen nicht als Genossenschaft auf, z.B. die Austria Presse Agentur.

Andere wiederum wirken im Hintergrund, wie die Bäko, die Einkaufsgenossenschaft der Bäcker, für Bäcker*innen sehr wichtig, aber von den Kund*innen, die Brot kaufen, überhaupt nicht wahrgenommen.

Dass es aktuell nicht noch mehr Genossenschaften gibt, könnte daran liegen, dass potenzielle Unternehmensgründer*innen zu wenig über die Möglichkeit dieser Rechtsform wissen.

Betriebs- oder Steuerberater*innen, die in Richtung Genossenschaftsgründung argumentieren, verlieren potenzielle Kundschaft, weil Genossenschaften durch die Revisionsverbände umfassend beraten und geprüft werden.

In wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern und in der Lehre würden zudem Genossenschaften immer noch stiefmütterlich behandelt, stellt Wirtschaftswissenschaftler Rößl fest. Dennoch sieht er bei Studierenden ein wachsendes Interesse an Genossenschaften, gespeist von Kapitalismuskritik und Interesse an alternativen Wirtschaftsformen.

Falsch eingeschätzt. Aus diesem Blickwinkel würden Genossenschaften auch „idealisierend und verklärend“ wahrgenommen. Andererseits interessierten die Studierenden alternative Beschäftigungsformen, wie eben die Erwerbsgenossenschaft. Wie zu Zeiten der Gründerväter soll die Genossenschaft also vor den Zumutungen der Arbeit unter kapitalistischen Verhältnissen schützen.

Ist hier nicht der Individualismus hinderlich, dem gegenüber die Kooperation auf Grund institutioneller Kräfte heute „nicht viel Gewicht auf die Waage zu bringen mag“, wie Richard Sennett betont?

Eine Genossenschaft mache keine besseren Menschen, sagt Rößl. „Sie entbindet nicht vom Interessensausgleich. Wenn eine Organisationsform den Ausgleich unterschiedlicher Interessen kann, dann die Genossenschaft.“

Irmgard Kirchner, bis 2016 Chefredakteurin des Südwind-Magazins, ist Kulturanthropologin und freie Journalistin in Wien.

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